Samara
Das Geräusch, das uns von unserem zunächst auserkorenen Nachtplatz verjagt hat, war auch in der Nacht noch einmal zu vernehmen, nur war es viel viel weiter weg. Keine Ahnung, was das war. Ein wenig war das gestern wie eine Szene aus einem schlechten Film. Den Morgen starten wir jedenfalls ganz in Ruhe mit einem Frühstück in der Sonne. Der Tümpel, in dem jede Menge Algen blühen, entpuppt sich als extrem glasklares Gewässer, das allerdings dann doch nicht zum morgendlichen Bad einlädt.
Wir machen uns auf die restlichen Kilometer bis Samara, einer weiteren Millionenstadt in Russland, und sind darauf gespannt. Der Reiseführer verspricht südliches Flair, das Samara, das sich mit VOrorten 50 km an der Wolga entlang zieht, versprühen soll. Auch Samara war einst geschlossene Stadt für Ausländer, die wir gegen MIttag erreichen. ZUnächst steuern wir den Bahnhof an, der das höchste Bahnhofsgebäude Europas beherbergt und eine tolle Aussicht über die Stadt verspricht. Nachdem wir uns hier das erste Mal schon beim Betreten des Bahnhofsgebäudes einer Durchgangskontrolle mit Röntgen unterziehen, müssen wir leider im Innern feststellen, dass der Fahrstuhl zur Aussicht nach oben nicht funktioniert. Hm ... schade, aber nicht zu ändern. Wahrscheinlich hat es nur den einen Monat während der Fußball-WM gereicht. Die WM ist zwar vorbei, allerdings prangen überall in der Stadt noch die Plakate, steht noch das Maskottchen herum. Noch jetzt, Wochen nach der WM, spürt man, wieviel Euphorie das Ereignis nach Samara gebracht hat.


Nun wollen wir aber zum Wolgastrand und zur ewig langen Promenade. Doch auch das gestaltet sich schwierig, da alle Straßen, die in Richtung Ufer abgehen, gesperrt sind. Also parken wir in einer Nebenstraße und erlaufen uns den Weg in Richtung Wolga. An einer Straßensperre fragen wr einen Polizisten, was es denn mit der Sperrung auf sich hat. Ein sinnloses Unterfangen, natürlich kann der Polizeibeamte kein Deutsch oder Englisch. So muss ein Junge, der vor uns läuft, für unsere Frage herhalten. Und das stellt sich als Glücksfall für uns heraus. Wir lernen Irina und ihren Sohn Daniel kennen, die uns in Englisch ihre Stadt vorstellen und uns die schönsten Plätze zeigen. So verbringen wir äußerst angenehmen 2,5 Stunden mit den beiden, laufen über den Paradeplatz der Stadt, angeblich der größte Platz in Europa, vorbei an einer alten Brauerei, am schönen Gorki-Theater. Neben dem höchsten Gebäude beherbergt Samara auch das tiefste, in dem ein Bunker für Stalin untergebracht war für den Fall der Fälle (welchen er sich dabei auch immer vorgestellt hat). Ein trostloser Raum, der 40 m unter der Erde liegt, und das mitten in der Stadt, ohne dass die Bevölkerung von Samara davon wußte. Durch Iriana erfahren wir auch eine Menge über das Leben in Samara. Gemütlich spazieren wir durch die Staddt, natürlich auch am Wolga-Ufer vorbei - wobei der Reiseführer nicht gelogen hat. Ein kilometerlanger, breiter Sandstrand mitten in der Stadt - man fühlt sich echt an Barcelona oder Nizza erinnert. Und am Strand und an der Promenade tobt das Leben ... Sonnenhungrige liegen am sauberen Strand, fahren Boot auf der Wolga, während die großen Fracht- und Kreuzfahrtschiffe vorüber ziehen, es gibt Eisstände, Sportmöglichkeiten, Springbrunnen, WM-Infostände usw. Und die ganze Stadt scheint hier zu sein. Es ist aber auch wirklich schön. Und mit der netten Begleitung durch Irina und Daniel macht es um so mehr Spaß. Wir schlendern und sprechen über alle möglichen Themen ... wie das Leben in einer geschlossenen Stadt war, wie die WM die Russen offener gemacht hat, über Krebs und das Gesundheitssystem in Russland, über Irinas Job, die für Hilti Russland arbeitet und damit wohl einen recht guten Arbeitgeber hat, über Daniels Zukunftspläne (auch er spricht übrigens mit seinen 14 Jahren sehr gut englich und lernt dazu auch noch deutsch), über den Patriotismus der Russen, über das Männer- und Frauenbild in Russland ... die Zeit vergeht wie im Fluge, dann verabschieden sich die Beiden ... auf Wiedersehen und Danke, Samara wird uns immer auch mit Euch in Erinnerung bleiben.


Wir suchen uns ein Restaurant an der Uferpromenade und wollen natürlich auf die obere Etage, schließlich will man ja den Blick auf den großen Strom genießen. Aber zunächst bittet man uns, im unteren Bereich innen Platz zun nehmen. Häh? ... nö, ein paar Sätze später ist aber auch das geklärt und wir können nach oben auf die Terrasse. Man habe nur einen englischsprachigen Kellner, der aber unten bediene - so die Begründung!? Egal, wir sitzen oben und finden anhand der englischsprachigen Menükarte auch schnell, wonach uns gelüstet. Auf dem Rückweg zum Auto nehmen wir noch den Ruhmes-Platz mit, wieder mal ein Denkmal a la sowjetischem Gigantismus, aber auch mit schöner Aussicht. Es ist spät geworden, als wir Samara verlassen, das uns sehr gut gefallen hat - eine saubere angenehme Stadt mit guten Straßen und einer wunderschönen Uferpromenade (wenngleich, wie uns Irina erzählte, vieles auch erst zur WM hergerichtet wurde).
Die Nacht wollen wir natürlich auch an der Wolga verbringen, also fahren wir raus aus der Stadt. Leider finden wir aber den Campingplatz, den wir ausgesucht hatten, weil er so schön am FLußufer liegen sollte, nicht. So landen wir bei Tanja, die uns eine kleine Wohnung in einer kleinen Ferienhaussiedlung an der Wolga vermietet. Die Wohnung ist ganz einfach, ohne Dusche, nur kaltes Wasser und viel zu teuer. Dennoch kümmert sich Tanja rührend um uns, bringt uns sogar noch Tee, Brot und Büchsenwurst, vorbei, obwohl wir versuchen, ihr zu verstehen zu geben, dass wir schon gegessen haben. Vorher muss sie noch ihren sturzbetrunkenen Sohn vom Sofa jagen, das vor unserer WOhneinheit steht ... lustig. Ihren selbstgemachten Wareniki (Teigtaschen mit süßer Füllung), die mit fetten Brombeerfrüchten gefüllt sind, könenn wir dann aber doch nicht widerstehen. Mit einem kühlen Abendgetränk bewaffnet, sitzen wir noch eine Weile im Dunkeln am Flußufer, bevor dieser schöne Tag zu Ende geht ...