Sibirien adé

Sibirien adé

 

Der Morgen startet heute mit Regen, dennoch müssen die Sachen, die es gestern in den Dunkelheit nicht mehr auf's Dach geschafft haben, wieder eine Etage höher. Frühstück gibt's in einfacher Ausführung im Truckstop und dann werden wir auch schon zur Banja gerufen, die der Chef der Banja uns ja schon gestern Abend versprochen hatte. Somit gibt es heute statt der europäischen Morgenwäsche eine russische. Etwas ungewöhnlich für uns ist zwar die Uhrzeit, aber wir nehmen es, wie es kommt. So machen wir uns erfrischt dann wieder auf die nächsten Kilometer, die sich heute mehr oder weniger ereignislos gestalten. Zwischendurch mal eine Mahlzeit, dann ziehen die Sümpfe und Birkenwälder Sibiriens wieder an uns vorüber. Irgendwann kommen wir mal wieder in ein extrem heftiges Gewitter. Es windet und regnet dabei so stark und viel, dass viele Autos und LKWs am Straßenrand stehen bleiben und abwarten. Wir fühlen uns dennoch sicher und ziehen mit gemäßtiger Geschwindigkeit wieter unsere Bahn durch Sibirien. In Kurgan gibt's noch einen Stop in einem riesigen Supermarkt. Und die Nacht müssen wir mal wieder auf einem Truckstop verbringen. Der heftige Regen hat die Feldwege, die links und rechts von der Hauptstraße abgehen, unbefahrbar gemacht und selbst die Truckstops, die nicht festen Bodenbelag aufweisen, versinken im Wasser. Gut, dann freuen wir uns eben auf den den nächsten schönen Stellplatz ... vielleicht schon morgen.
Zumindest ist am nächsten Morgen die Sonne wieder da. Am Truckstop hält uns nichts und so machen wir uns schnell davon und finden kurze Zeit später eine Abfahrt, so dass wir unser Frühstück auf festem Boden zwischen Bäumen in der Sonne einnehmen können. So sieht die Welt schon viel besser aus.
140 km später erreichen wir Tcheljabinsk. Auch das war bis in die 90er eine gesperrte Stadt, insbesondere wegen der dort ansässigen Industrie, die auch an uns vorbeizieht, als wir in die Stadt einreisen. Dennoch macht die immerhin 1,5 Mio. Einwohner-Stadt keinen abweisenden Eindruck auf uns. Das schauen wir uns noch genauer zu Fuß an und erkunden zunächst die Gegend um den Bahnhof. Die Prachtstraße von Tcheljabinsk ist die Uliza Kirova, die teilweise frei vom Autoverkehr als Fußgängerzone ganz hübsch gemacht ist. Zwar versperren so manches schöne alte Haus zuviele Werbeplakete an der Fassade, aber es gibt jede Menge Cafes, auch Straßencafes, und Verkaufsstände, Shops, Blumenrabatte, moderne Skulpturen - es ist alles da, was das Volk zum angenehmen Flanieren braucht. Und das tun wir auch, schlendern gemütlich durch die Zone, nehmen einen Blini auf die Hand. Weiter geht's dann an der Uferpromenade entlang und durch die Aloe-Park mit einer hübschen Kirche und einem - na was schon - imposanten Lenin-Denkmal. Unser Auto hatten wir in einer Seitenstraße geparkt und der Wächter hatte mit uns ein "gutes Geschäft". Als wir einparken, fragt er uns nach unseren heimischen Münzen. Geduldig kramen wir die Euro-Münzen, die tief im Innern der Dicken seit langer Zeit ungenutzt herumliegen, heraus und zeigen ihm die Münzen. Der Parkplatz-Sheriff - der nciht merh viele Zähne im Mund hat - bedankt sich freundlich und freut sich über den ganzen Münzensatz der Euro-Silberlinge. Gut, war so nicht gedacht. Wir wollten nur zeigen - er wollte haben ...;-) Aber gefreut hat er sich doch sehr.
 
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Wir verlassen Tcheljabinsk und damit auch Sibirien. Auf der Heinreise hatte unsere Fahrt durch das sagenumwobene "schlafende Land" noch viele Tage mehr gedauert. Aber bereits in der Mongolei haben wir ja viel Wegstrecke wieder Richtung Westen gemacht und auch das Altaigebirge kürzte die Sibiriendurchquerung ja quasi ab. Jetzt liegt der Ural wieder vor uns und bald dann auch wieder Europa.
Doch zunächst geht es nochmal etwas nach Norden zu unsrerem auserkorenen Nachtplatz, eine Art Campingplatz, der an einem der vielen Seen in der Umgebung von Tcheljabinsk liegt. Es ist eine wunderschöne Landschaft, durch die uns die Route führt, viele Seen und Wälder in den Hügeln des Ural. Viele Menschen versuchen, am Straßenrand ihre Früchte und Pilze zu verkaufen. Aber die Idylle ist leicht trügerisch, denn das Wissen um das, was in einiger Entfernung lauert, bringt auch für uns ein mulmiges Bauchgefühl mit sich. Majak heißt das ungute Gefühl. Nie gehört? Wir bisher auch nicht. Jeder kennt Tschernobyl oder weiß, was es mit Fokushima auf sich hat. Von Majak, der russischen Atomanlage, werden nur die wenigsten gehört haben.  Und das, obwohl sich hier 1957 der drittgrößte GAU ereignete. Aber die Sowjets schwiegen darüber, jahrelang, jahrzehntelang, noch bis in die 90er Jahre, die Stadt Osjorsk und die Majak-Anlage waren auf keiner Landkarte verzeichnet. DIe erste russische Atombombe wurde hier gebaut 1957 kam es zur Explosion, bei der gewaltige Mengen Radioaktivität freigesetzt wurden. Es wird vermutet, mehr als bei der Katastrophe von Tschernobyl. Den Menschen wurde damals nichts gesagt von dieser Vorfall. SIe lebten weiter hier, badeten in den Flüssen, ließen ihre Tiere hier weiden. Und auch heute noch gilt die Anlage als unsicher, zuletzt war sie 2017 auch bei uns in der Presse, als eine Wolke Ruthenium über Europa schwebte; der Ursprung dieser radioaktiven Wolke wurde in Majak vermutet. Bevor wir hier her kamen, hatten wir über Majak noch nie etwas gehört. Die Berichte dazu im Internet lesen sich erschreckend (wer Interesse hat, kann dazu nachlesen unter Majak, Osjorsk, Musljumovo, Karatschi-See). Heute ist Majak (offiziell) in erster Linie eine Wiederaufbereitungsanlage. Und was machen z.B. Deutschland und die Schweiz? Trotz des Wissens um die hohe Störanfälligkeit der Anlage bringen wir unseren Atommüll nach Majak. Wenn der in Russland liegt, liegt er wenigstens nicht vor der Haustüre und ist damit nicht mehr ein deutsches Problem ... Für uns, die wir hier weiträumig vorbeireisen, besteht keine Gefahr, aber die Menschen, die hier leben, jahrelang ohne das Wissen um die radioaktive Katastrophe - in dieser trügerischen idyllischen Umgebung. Die Straßenverkäufer, die leckere Beeren und Pilze aus dem Wald und ihren Gärten anbieten, lassen wir in dieser Gegend allerdings liegen und auch auf ein Badevergnügen werden wir hier verzichten.
 
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Was angesichts unserer Stellplatzwahl für den heutigen Abend gar nicht so einfach ist. Das Aloha-Camp befindet sich direkt an einem großen See. Ausnahmsweise (warum wir in diesen Genuß geraten, wissen wir auch nicht) dürfen wir als einzige Campbesucher sogar mit unserem Fahrzeug zu unserem Stellplatz, dem einzigen mit direktem Wasserzugang. Dieser schöne Stellplatz lockt natürlich den Grillappetit in uns hervor (wie gut, dass unser KÜhlschrank mit Schaschlik gefüllt ist). Die Sonne geht über dem See unter, Wasservögel machen sich lauthals bemerkbar. Es ist schön hier ... und ab und an schweifen die Gedanken ab, zu dem Unvorstellbaren, das ganze Leben hier zu leben, ohne zu wissen, dass alles um dich herum dich krank macht ...