Tage auf Olchon

Tage auf Olchon

Gastbeitrag
 
Aufgrund der um 50 % angeschwollenen Stärke unserer Reisegesellschaft wurden nahezu sämtliches, uns zur Verfügung stehende Übernachtungsequipment an Anwendung gebracht, und bald erhob sich eine kleine Zeltstadt über den Ufern des Baikal mit pittoreskem Blick auf Felsen, Inseln und Berge auf der anderen Uferseite. Dieses Panorama wurde durch schmackhaftes Schaschlik vom Grill ergänzt, bevor wir uns - stolz ob unserer standhaften Remonstration gegen stalinistische Willkür  der wohlverdienten Nachtruhe zuwandten.   Am nächsten Morgen empfing uns der große See mit milden Temperaturen. Wir zelebrierten ein Rührei-geschwängertes Frühstück, vor dem die Irkutsker Hotelköche vor Neid erblassen würden. Gesellschaft bekamen wir von einer Kuhherde, die uns jedoch nach kurzer Begutachtung für uninteressant befand und routiniert das Steilstück zum Seeufer bewältigte, um sich an frischem Baikalwasser zu laben. Das animierte uns, ebenfalls mit dem Wasser in Berührung zu kommen. Die mutigen Schritte zum und schließlich auch INS Wasser büßten merklich an Geschwindigkeit ein, denn der See ist kalt. Sehr kalt. Superkalt. Die Temperaturbewertung schwankte zwischen 10 (praktisch ausgeschlossen) und 5 Grad Celsius. Wahrscheinlich liegt der korrekte Wert irgendwo in der Mitte bzw. dicht bei 5 ... Gleichwohl stürzten wir uns nach kurzem Kälteschock mehr oder weniger tief ins Wasser und stießen dabei irrationale Laute aus, die selbst die Kühe verwirrten. Anschließend kam uns die ohnehin laue Luft extrem warm vor. Nach dieser Erfrischung fühlten wir uns fit für eine kleine Wanderung. Wir umrundeten abwechselnd Kühe, Bäume und auch das eine oder andere Feldwiesel und bestaunten die Bemühungen lokaler Holzhauserrichter, welche sich zunehmend in der Uferregion breit machen. In 10 Jahren muss man dann wohl froh sein, wenn man das Wasser noch sehen, geschweige denn berühren darf. Aber noch durchschritten wir eine gewisse Abgeschiedenheit und genossen Luft und Lage. Der Rückweg wurde von einem zu durchschreitenden Fliegenschwarm größeren Ausmaßes geprägt, welcher die Atemluft um eine kostenlose Fleischeinlage bereicherte.
Wieder an unserer Basis nahmen wir einen existenziellen Eingriff am Auto vor: Wir kontrollierten die Festigkeit einer Lötverbindung an einem Batteriekabel und erneuerten die Isolierung. Erschöpft von diesen Tätigkeiten und unserem Spaziergang warfen wir erneut den Grill an und ließen den Tag bei tollem Sonnenuntergangspanorama ausklingen.
 
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Am nächsten Tag stand eine Tour zur Nordspitze der Insel Olchon an. Nach entspanntem Frühstück und nicht ganz so entspanntem Ausflug ans bzw. ins Wasser bestiegen wir unser Gefährt und steuerten zunächst die Nationalparkregistratur an, wollten wir uns doch nicht illegal in geschützte Gefilde begeben. Erster Stop war ein Schamanenfelsen, auf dem wir die Wartezeit auf die sich schließlich doch nicht einstellende spirituelle Eingebung mit dem Genuss der tollen Aussicht verbrachten. Im weiteren Verlauf des Trips wurde das Terrain für Automibilisten mehr als anspruchsvoll und ist mit herkömmlicher Ausrüstung nicht mehr zu bewältigen: in z.T. Schrittgeschwindigkeit wurden tiefe Gräben und steile Anstiege bezwungen. Das fahrerische Können unseres Piloten wurde lediglich von den burjatischen Kleinbussen, genannt Ameisen, egalisiert, welche mit jeweils bis zu 10 Personen ohne jede Rücksicht auf Mensch und Material übers Wellblech bretterten.
Wir stoppten an einem Felsen mit schöner Aussicht und erkundeten die nähere Umgebung. Auch das letzte Teilstück war eine Aneinanderreihung von Unwegsamkeiten. Endlich erreichten wir die Nordspitze der Insel und ließen uns an einer kleinen Sitzkombination mittem im Wald nieder und prepelten kulinarische Pretiosen. So gestärkt nahmen wir den letzten Gipfelsturm in Angriff und stiegen zum nördlichsten Aussichtspunkt auf. Dabei ließen wir uns viel Zeit und machten die eine oder andere Pause, um uns am tollen Anblick der Uferregion zu erfreuen. Ein in der Ferne sich bemerkbar machendes Gewittergrollen erinnerte uns an den nicht ganz so trivialen Rückweg, und so brachen wir nach einem letzten Blick über Felsen und Wasser zu diesem auf. Da die Wegbeschaffenheit nunmehr bekannt war, bewältigten wir die Fahrt zu unserer Basis etwas fixer und fielen nach noch ein wenig Schwatzen alsbald ins Bett.
 
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Der letzte Tag unseres Olchon-Trips bestand im Wesentlichen aus der Rückfahrt nach Irkutsk. Auf dem unbestigten Teilstück zur Fähre wurden die ersten Ameisen hinsichtlich Fahrkunst und Tempo in die Schranken gewiesen. Auf die Fähre konnten wir im Prinzip ohne Wartezeit auffahren, und wir verabschiedeten uns von unserer ersten Begenung mit dem Baikal, sehen wir ihn doch in den nächsten Tagen nochmal. Auf dem Weg nach Irkutsk spekulierten wir, ob wir denn wieder auf die nervenaufreibende Polizeikontrolle treffen würden, und tatsächlich lagen die Rubelgeneratoren wieder auf der Lauer. Diesmal gerieten wir an den älteren Officer, welcher sich möglicherweise an uns erinnerte und trotzdem nach unseren Pässen verlangte. An der Ladung war dieses Mal nichts auszusetzen, vielmehr interessierte ihn plötzlich die Sicherheit des Fondpassagiers. Natürlich konzidieren wir, dass die fehlende Rücksitzbank und die damit einhergehende mangelnde Begurtung der temporären Begleiterschaft einen deutschen Gesetzeshüter zunächst ins Koma geschickt und anschließend zur umgehenden Stillegung des Gefährts veranlasst hätte. Die Frage des burjatischen Waffenträgers nach einem Sicherheitsgurt beantworteten wir geistesgegenwärtig mit dem Vorzeigen eines Rucksacktragegurtes, was ihn vollumfänglich (kausal) befriedigte. So konnten wir, ohne wieder größere Geschütze auffahren zu müssen, die Reise unbehelligt fortsetzen und reisten zügig gen Irkutsk. Dort angekommen suchten wir uns erstens ein logistisch günstig gelegenes Hotel sowie ein landestypisches Restaurant, welches wir nebst megabeflissenem Oberkellner auch sogleich kaperten. Wir rätselten etwas über die Speisen, zeigten auf das eine oder andere Bild, ließen uns ausführlich (wenn auch nicht immer verständlich) beraten und speisten schließlich sehr wohl in mehreren Gängen.

Da für den nächsten Tag ein Ausflug sowie die Abstoßung unseres zeitweiligen Begleiters anstand, machten wir uns alsbald auf ins Hotel und schlummerten sanft unter den lauten und langen Klängen einer Hochzeitsgesellschaft.
 
Lieber Marco,
eine für uns außergewöhnliche Reise wurde durch deine Stippvisite zusätzlich bereichert. Wir hoffen, dass es dir genauso gefallen hat wie uns. Dass wir dir das dritte Sitzmöbel erst NACH der letzten Mahlzeit offenbahrten, war ganz sicher kein Zeichen der Geringschätzung deiner Person, sondern Zeichen unserer Vergesslichkeit:-)
Vielen Dank, dass du die vor langer Zeit entwickelte Idee eines Treffens am Ende der Welt, wenn auch heimlich, weiterverfolgt hast. Es waren schöne Tage. Wir haben deine Gesellschaft und die Erlebnisse, die wir geteilt haben, sehr genossen ... und sehen ins in 10 Jahren an Ort und Stelle wieder ...;-) Vergiß dann bitte nicht dein Thermometer ... oder bring alternativ einen Neopronanzug mit.
Wir hoffen, du hast den Weg in die Heimat gut hinter dich gebracht ... wir werden wohl bei der Fortsetzung unserer Tour noch oft an dich denken.
Grüße aus Zimmer 926